Toni (die italienische Aussprache ist hier wichtig), ich glaub Toni heißt der Typ der in den Mafia Filmen immer die Betonklötze an den Füßen hat. Eigentlich eh irrelevant wie der heißt, aber jetzt gerade fühle ich mich wie Toni – also der mit den sizilianischen Stiefeln. Bis zu den Knien eingegraben im Schnee. Beweglichkeit: Kategorie Baum. Die einzige Regung ist ein leichtes Schwanken im Wind und ein starkes Zittern. Zumindest ab den Knien aufwärts, darunter ja einbetoniert. Mir ist arschkalt. Ich versuche die Zehen zu bewegen, irgendwie müssen die Dinger ja warm bleiben. Ob’s funktioniert? Schwer zu sagen, ich spüre sie kaum noch. Schnee wäre ja bekanntlich ein guter Isolator, blöderweise auch ziemlich kalt. Wobei, materialtechnisch gesehen eigentlich heiß. ARSCHKALT! Kann mir der klugscheißende Nerd jetzt auch nicht schönreden.
In meinem Hinterkopf schleicht sich so ganz leise eine Frage ein.

Seit einer guten Stunde stehe ich regungslos am Stand und gebe zentimeterweise Seil aus. Finger ziemlich taub. Handschuhe gefroren. Ein bisschen Schattenboxen hält die Hände einigermaßen auf Temperatur. Rocky Balboa kann einpacken, wenn ich hier fertig bin. Gelegentlich schlage ich auch gegen die Wand – platzmäßig eher so boxen in einer MRT Röhre – aber richtig spüren tu ich sowieso nix mehr.
Die heutige Ohrwurm-Hitparade spielt den zeitlosen Nordwandklassiker „Do kummt die Sunn, didndidi, do kummt die Sunn i gfrei mi“. Warme Gedanken sollen ja bekanntlich helfen. Die Ironie dabei: 30m über mir erhellt der wärmespendende Stern, um den wir kreisen, den Grat.
Die leise Frage im Hinterkopf wird langsam etwas lauter.

Auf der Südhalbkugel wäre die Nordwand jetzt in der Sonne. Halts Maul Klugscheisser! Zwischen mir und den ersehnten Sonnenstrahlen wühlt sich Martul seit mehr als einer Stunde über die schneebedeckten Platten. Es trennen ihn bloß noch wenige Meter vom Grat, die Griffe dort hin verstecken sich aber brav unter dem weißen Zeug, das wir sonst so lieben. Gibts eigentlich Besen-Aufsätze für die Eisgeräte? „Glaubst ned a du, des woa a longa koida Winta“. War?! Von „war“ – im Sinne von „Winter vorbei“ – sind wir noch weit weg. Es ist gerade mal Ende November und wir frieren uns in einer Nordwand den Arsch ab. Ob wir einfach noch nicht daran gewöhnt sind? Möglich. Ob’s irgendwann besser wird? Unwahrscheinlich.
Die Frage im Hinterkopf wird plötzlich ziemlich deutlich.

Ich erinnere mich. Vor fünf Tagen war Sie auch schon da, in einer anderen Nordwand, ganz deutlich, aber irgendwie ist sie dann auch wieder verschwunden.
Das Seil bewegt sich plötzlich schneller. Öha jetzt passiert was.

STAND!

Endlich.

Ich will die mittlerweile einsetzende Dämmerung mit einem Juchitzer erhellen, bringe aber keinen geraden Ton raus. Mein Mund ist komplett trocken. Trinken wäre nicht schlecht, die Wasserflasche erinnert allerdings mehr so an einen Cocktail. Einen von der beschissenen Sorte, die nur aus crushed ice besteht.
Los geht’s, ich beginne zu klettern und plötzlich kommt ein alter Bekannter um die Ecke. Long time no see. Eigentlich ist’s erst ein paar Tage her, aber ich freue mich trotzdem riesig, dass er da ist. NICHT!
Da Hoanigl (Anm. d. Red.: Frostprickeln der Finger). Des OASCHLOCH. Braucht koa Sau. Und jetzt, gerade als ich eigentlich über diese drecks Platten tänzeln soll, ist er da. Ich krümme mich und könnte kotzen, weil der Hundling so weh tut.

WARUM?

Bam! Da ist sie, die Frage, die sich so langsam eingeschlichen hat. Warum? Warum sind wir hier? Warum machen wir den Scheiß? Immer wieder aufs Neue. Ich könnte mir gerade tausend Orte vorstellen an denen ich lieber wäre. Aber wir sind hier, frieren uns den Arsch ab und haben die Hose gestrichen voll.

Und Morgen? Morgen ist wieder alles vergessen. Das Einzige das bleibt ist ein leichtes kribbeln in den Zehenspitzen, der Muskelkater und die guten Erinnerungen. Die Frage im Hinterkopf ist verschwunden und an derselben Stelle keimt ein Gedanke, der zu einem Plan für die nächste Nordwand heranwächst. Ich dachte man lernt aus Schmerz. Das menschliche Hirn ist mir ein Rätsel.

Am Ende des Tages bleibt im Grunde nur eine Frage übrig: WIA BLED SAN MIA EIGENTLICH?

2 Comments

  1. Mega gschriem, sooo cool zum Lesen!! Kann i an Storytelling Kurs bei dir machn? 🙂

    • Fuzi Reply

      Merci Manu. Logisch
      Regel #1 des Storytellings: finde den Pegel wo du kreativ wirst 😂

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