Simon und Martin am Gipfel des Black Tooth (6718)

NO TURNING BACK – SUMMIT DAY

Die Vorboten des schlechten Wetters lassen grüßen. Leichter Schneefall setzt ein, jedoch steht für uns fest, dass an Rückzug über das fragile Eisfeld nicht zu denken ist. Somit gibt’s nur die Flucht nach vorne. Um Gewicht zu sparen lassen wir das Zelt zurück.

Am Grat auf rund 6400m

Beim ersten Licht starten wir angeseilt in Richtung Gipfel. Die Schwierigkeiten betragen max. M5, wobei uns eher die schlechten Schneeverhältnisse am schnellen Vorankommen hindern. Das Wetter wird immer schlechter. Whiteout: Sicht gleich null. Starkes Schneegestöber. Und wir sind körperlich am Limit. Was wir nicht ahnen, dass im Basecamp bereits Alarm geschlagen wurde und eine Rettungsaktion geplant wird. Durch ein Problem mit dem Funkgerät sind wir zu diesem Zeitpunkt nicht im Kontakt mit dem Basislager. Wir erreichen gegen 13.00 den Gipfel des Black Tooth (6718m). Trotz der Umstände machen wir schnell ein paar Fotos und starten sofort den unbekannten Abstieg.

Völlig ausgelaugt auf 6600m knapp unterm Gipfel

ABSTIEG INS UNBEKANNTE

In Richtung Nebel klettern wir in die Scharte zwischen Muztagh Tower und Black Tooth. Endlich erreiche ich per Funk das Basecamp. Unsere Angehörigen wurden bereits verständigt und unser Vermissen gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt wäre jedoch aufgrund der schlechten Witterung ein Rettungseinsatz undenkbar gewesen. Wir können erst einmal Entwarnung geben, wobei uns bewusst ist, dass wir uns in einer kritischen Situation befinden. Uns steht noch ein ewiger, unbekannter Abstieg im Schlechtwetter bevor. Wir wissen die Richtung aber die Weitläufigkeit macht eine Orientierung extrem schwer. Fast blind seilen wir 5-6 mal ab und hoffen den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

Abstieg am Gipfelgrat in Richtung Scharte auf 6700m

Endlich lichtet sich der Nebel erstmals und wir erkennen Umrisse des Seracs, der als wichtiger Orientierungspunkt gilt. Wir sind am richtigen Weg. Abseilen, Absteigen, Abseilen, Absteigen. Plötzlich bricht der Boden unter mir weg. Es passiert zu schnell um es zu Realisieren. Was ist passiert? Während des Abkletterns im 60° steilen Schnee-/Eisfeld breche ich in eine verdeckte Randspalte. Die Schwerkraft dreht mich sofort um die eigene Achse und ich falle. Ein Bein bleibt in der Spalte hängen, somit entgehe ich einem weiten, vermutlich fatalen Absturz. Ich liege kopfüber im Hang. Aufgrund meiner unglaublichen Müdigkeit und körperlichen Verfassung benötige ich einige Minuten um mich wieder aufzurappeln. Maximale Aufmerksamkeit ist gefordert um sicher am Gletscherboden anzukommen.

Wir erreichen eine Felsrippe welche als weiterer Orientierungspunkt dient und endlich hat das Basislager Sichtkontakt mit uns aufgenommen. Mit kaum noch Material, da alles bereits für unzählige Abseilstände verbraucht wurde, erreichen wir bei Dämmerung den letzten Abseiler. Ich schlage den Haken. Er singt. Seil durch und ab. Ein Ruck, Kling. Pures Entsetzen. Simon und ich schauen uns angsterfüllt an. So knapp. Der Haken hängt im Seil. Wir müssen uns zusammenreißen. Noch so ein Fehler und es ist vorbei.

Abseilen im Nebel

Völlig erschöpft kommen wir im oberen Gletscherbecken an. Wir sind jetzt mehr als 18 Stunden am Stück unterwegs und haben jeweils 1l Flüssigkeit und ein paar Riegel zu uns genommen. Wir kochen Schnee und überlegen ein weiteres Biwak. Die warmen Temperaturen und der Schneefall machen ein Weiterkommen überaus anstrengend, jedoch sind wir noch immer nicht im sicheren Gelände angekommen. Felssturz und Serac-Abbrüche zerstören die nächtliche Ruhe am Berg. Vor allem aber zwingt uns die Wetterprognose zum weiteren Abstieg. Abwechselnd spurend durchqueren wir den Gletscherbruch welcher sich in zwei Tagen komplett veränderte. Steinschlag, Lawinen und Gletscherbewegungen prägen das Gebiet tagtäglich.

Am Wandfuß können wir endlich aufatmen und Philipp kommt uns mit Proviant entgegen. Zwischen 0.00 und 1:00 erreichen wir nach mehr als 20 Stunden unser Basislager. Simon und ich umarmen uns. Wir sind überglücklich und stolz eine so tolle Route an diesem schwierigen Berg geklettert zu sein.

Am Tag nach der Erstbesteigung: Philipp (l.), Martin und Simon

ENDLOSER BALTORO TREK

Am nächsten Vormittag sind die Träger schon da und wir starten den 80km Baltoro-Trek in Richtung Askoli. Nachdem das Adrenalin und die Anspannung abgefallen sind fühlt man nur noch Anstrengung und Müdigkeit. Die kommenden Tage werden zur Tortur und Simon und ich bewegen uns wie in Trance: wenn ich das gewusst hätte, wäre ich lieber am Berg geblieben.

Baltoro-Trek: Völlig am Ende

Nach den üblichen Problemen mit den Trägern erreichen wir nach drei Tagen unversehrt Askoli und können verfrüht die Heimreise antreten.

Black Tooth 6718m: Süd-West Flanke (Messner/Sieberer)

Karakorum-Expedition (1): First Ascent of Black Tooth (6718m)

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