Die Geschichte des smoothen Kriminellen geht zurück zu meinen Anfängen als Kletterer und beschreibt eine Evolution und meine Weiterentwicklung als Eiskletterer.

Wie alles begann

Am Beginn meines Masterstudiums war ich zwar schon sporadisch im Fels unterwegs, zählte mich jedoch noch nicht zu den Alpinisten. In den Bergen war ich gern, doch meistens auf Ski oder zu fuß. Nicht dass ich mich nicht wohl fühlte im Fels, geschweige denn im Eis. Mir fehlte der Zugang. Diese Welt wurde mir vorenthalten. Wie man so schön sagt: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“. Zusätzlich lag mein Fokus nach einer schweren Verletzung im Jahr 2012 eher in Erreichung genereller Fitness und der Suche nach Lebensqualität.

Erstmals im steilen Eis – der „Eierpecker“

Ich lernte somit 2015 Johannes kennen und „Pandoras Box“ wurde für mich somit geöffnet. Auf Anhieb waren wir im Sommer am Fels und im Winter im Eis unterwegs. Es war ein besonders holpriger Weg, aber meine Faszination und Motivation für das alpine Gelände ließ mich nicht los. Und somit hießen meine Touren in der ersten Saison „Felsige Gärten“, „Ground Launch“, „Land am Strome“ oder „Kerze“. Alles eher anspruchsvollere Touren aus den umliegenden Gebieten. Das Netzwerk an Kletterern in Innsbruck und meine Motivation eröffneten mir unglaubliche Möglichkeiten. Nach insgesamt einem Monat Eisklettern eröffnete ich gemeinsam mit Johannes unsere erste gemeinsame Mixed-Tour „Eierpecker“ im Stubaital. Unvorstellbar bei dem Gedanken, dass ich vor einem Monat das erste mal eine Schraube in einen Eisfall setzte.

Im Urfall direct „Eierpecker“ (pic: Andreas Vigl)

Was gibt es Neues?

Nach und nach passte sich mein Können meiner mentalen Stärke an. Es ist mir allerdings unerklärlich wie ich diese Phase mit nur 3 Wochen im Reha-Zentrum überlebte. Nach etwa zwei Saisonen unermüdlicher Neuentdeckungen waren die meisten Eistouren in Tirol und Umkreis abgegrast. Der Blickwinkel musste sich ändern, was uns zur Tour in der Überschrift bringt.

Mitte Februar zog es Johannes und mich an eine bisher unberührte Wand im hinteren Floitental. Tage zuvor waren Johannes und ich das Experiment geklettert, als uns dieses Prachtstück auffiel. Inmitten einer blanken Wand thront ein Eiszapfen, welcher unerreichbar schien. Vorsorglich hatten wir eine Bohrmaschine dabei, da wir mit sicherungsresistenten Fels rechneten.

Die 1. Seillänge, für Johannes kein Problem, erforderte bereits viel Erfahrung in Bezug auf hohle Glasuren und schlechter Absicherung. Die ersten 60m waren geschafft. Auf einem perfektem Band errichteten wir Stand und staunten nicht schlecht als wir nach oben blickten.

Am Beginn der 2. Seillänge. (2018)

Ethische Grundsätze und begrenzte Möglichkeiten

Es lag uns besonders viel daran nicht verschwenderisch mit Bohrhaken umzugehen, da es meines Erachtens ethisch nicht vertretbar ist eine Tour einzubohren, welche nicht gewissen Prinzipien entspricht. Somit sei vorab gesagt: „Smooth Criminal“ muss man zwingend auch klettern um nach oben zu kommen.

Plattenkletterei vom Feinsten (2018)

In mühsamer Arbeit kämpfte ich mich stundenlang den Fels hoch bis ich im Eis endlich in meinem Element ankam. Nach weiteren 10 Metern erreiche ich erneut an Plateau und errichte Stand. Obwohl wir beinahe die Wandmitte erreicht hatten, verschwendete ich kaum einen Gedanken an eine Freikletterei. So unmöglich erschien mir im Moment die erste Felspassage, geschweige denn was oben noch kommt.

Der Tag neigt sich dem Ende zu und zugleich auch die Eissaison. Viele schöne Touren liegen hinter uns und nur wenig Gedanken werden an die für uns unmögliche Tour verschwendet.

Traumstimmung bei der Erstbegehung (2018)

In der Geduld liegt die Kraft

Es vergehen vier Jahre in denen wir entweder keine Zeit haben und/oder keine guten Bedingungen für einen weiteren Vorstoß herrschen. Erst 2022 nach einem überfälligen Besuch im Floitental sehe ich sie: unsere Kingline.

Die Kingline: „Smooth Criminal“

Bei Vergleich mit unseren Archivbildern erscheint besonders der Eisaufbau in der potentiellen 3. Länge als besonders ausgeprägt. Es braucht nicht viel Überredungskünste und Johannes ist sofort mobilisiert. Die 1. Länge hat heuer etwas weniger Eis, ist aber aufgrund der geringen Steilheit und der Geländeform vermutlich meist kletterbar. Bei der 2. Länge fehlt ein Eisschild, jedoch kommt man auf Glasuren recht gut durch. Beinahe gelingt mir auf Anhieb ein sofortiger Rotpunkt. Beim letzten Move löst sich aber leider ein Hook und ich stürze in einen „Bomber-Pecker“ der mich von einem 15m-Pendelsturz in den Boden bewahrte. Die 10er-Schraube in eine dubiose, vom Fels gelöstes Eisstruktur hätte einen Sturz wohl kaum gehalten. Deshalb gibts von meiner Seite noch zwei Bohrhaken, welche die Nerven beruhigten und den Weg für die folgende Rotpunkt-Begehung ebneten. Die Erleichterung war groß: die Länge ist wirklich kletterbar, trotz Bolts mental anspruchsvoll und einfach genial.

2. Seillänge: Plattenkratzen mit Reibungs-Steigeisen

Am Highpoint angekommen, ist die Ungewissheit genau so groß wie die Freude. Das Eis befindet sich 10 Meter entfernt zum Greifen nahe, aber wie soll man es im blanken Granit erreichen. Eine Bohrhakenleiter kommt nicht in Frage und somit arbeite ich mich voran. Kurz vor dem Übergang ins Eis entdecke ich einen versteckten Riss, welcher als rettende Insel für den Ausstieg ins Eis dient. Hoch setze ich einen letzten Bolt um im Zweifel keine unnötigen Nerven im Eis zu verschwenden. Unbekümmert erklettere ich den freihängende Eiszapfen, kann sogar ein/zwei Schrauben setzen und steige mit einem Juchizer aus. Wär hätte gedacht, dass wir tatsächlich einmal dieses Eis betreten dürfen.

3. Seillänge bei der Rotpunktbegehung

Smooth Criminal – die dicksten Eier die ich jemals hatte

Ein weiteres Monat müssen wir Schneefall, hohe Temperaturunterschiede und leichte Läsuren vergehen lassen, bis der Zeitpunkt endlich passt. Mit der Hoffnung, dass die diversen Wettereinflüsse unsere Linie verschonten, spuren wir zu unserer Dream-Line.

Die letzten Meter zum Einstieg von „Smooth Criminal“

Alles ist an seinem Platz. Die erste Länge hat sogar besseres Eis. Die zweite hat zwar keine brauchbaren Glasuren mehr, jedoch zwei neue mental hilfreiche Bohrhaken. Die dritte Länge als Fragezeichen, stellt sich im Fels gut kletterbar heraus, jedoch ist die Eisqualität jenseits von Gut und Böse. Der Übergang, wie 1 Monat zuvor ist nicht mehr möglich, da die Eisstruktur nicht einmal mehr meinem Blick standhält und beinahe zu Beginn mit mir gemeinsam der Gravitation zum Opfer fällt.

3. Seillänge im Eis

Ein gewagter Schwung ins Leere und behutsames Höhersteigen zwingt mich eine Entscheidung zu treffen: Bin ich mental in der Lage, im Zweifelsfall die nächsten 25 Meter im steilen Eis ohne Schlagen und Schraubensetzen zu klettern oder gebe ich auf und springe 5 Meter in den letzen Bohrhaken. Ich weiß vom letzten Besuch, dass sich auf halber Höhe ein Riss befindet, über den ich vermutlich absichern kann. Ich steige ohne Gedanken behutsam weiter, beachte die komischen, hohlen Klänge nicht und bekomme nach zehn Metern eine Sicherung im Fels unter. Die Eisqualität bessert sich jedoch ist die linke Eisstruktur derart schlecht mit dem Fels verbunden, dass sie wohl kaum noch längere Zeit an der Wand haften bleibt.

Im delikaten Eis

Der rechte Eiszapfen klingt schon besser, jedoch wage ich es nicht eine Eisschraube zu setzen. Im Überhang lege ich noch 2 Keile (beide belassen) und steige endorphindurchtränkt den gesamten Zapfen aus. Erst im flachen setze ich eine Schraube und lasse meiner Freude freien Lauf. Johannes steigt nach und wir können endlich die letzte Seillänge noch genießen. Genießen ist übertrieben, da unsere beiden Arme krampfen, aber dennoch ist der Ausstieg ein Genuss und zugleich fließt ein wenig Wehmut hinzu, da dies das Ende eines schönen und zugleich prägenden Projekts bedeutet.

Selfie am Ende der 3. Seillänge

Smooth Criminal (M9/WI7-/150m)

  1. Sl. WI5+, 60m (1Haken)
  2. Sl. M9, 25m (7BH)
  3. Sl. M7/WI7-, 45m (3BH, 2 Keile)
  4. Sl. WI5+, 30m

Nach der ersten und zweiten Seillänge befindet sich ein Bohrhakenstand. Rest muss selbständig eingerichtet werden. Abseilen am Besten 2x über Eissanduhren + 1 mal über 1.Stand. Die Tour wurde am 25.2.2018 bzw. am 28.1.2022 von Johannes Kehrer und Martin Sieberer erstbegangen. Am 28.2.2022 konnte Martin Sieberer die Route komplett im Vorstieg im ersten Versuch rotpunkt klettern. Wie die Abstände der Erschließungtage hindeutet, ist die Tour ziemlich verhältnisabhängig (Abb 1 & 2). Die 1.Sl führt über eine Rampe bzw. Glasur zum 1. Stand. Wichtig ist der Eisaufbau in der 3. Seillänge. Am 28.2.22 konnte die Eislänge bereits geklettert werden (WI6+), ein Monat später war die Länge nur noch spärlich absicherbar (keine Schraube, 3 Keile, 1 Friend). Die zweite Seillänge wurde ebenfalls am 28.2.22 bei recht guter Eisglasur geklettert (M8), ist jedoch auch ohne Glasur möglich (M9). Es handelt sich dabei um delikates Plattenklettern an sehr kleinen Hooks und Tritten.

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