Valsertal die 2te

Nachdem Lukas Waldner und mir letzte Woche schon eine gebürtige Einstandstour gelungen ist, wollten wir es erneut wissen und stiegen in den malerischen Talkessel des Valsertals in Richtung Schrammacher auf.

Kurzer Rückblick

Lukas und ich waren bisher Insta-Freunde. Man kennt sich nicht wirklich. Man liked das eine oder andere Foto, hat auf der Alpin-Messe mal ein paar Worte gewechselt und eine nie zustandekommende Tour geplant.

Sagwand mit Mittelpfeiler

Dies ändert sich schlagartig Ende Dezember 2023 mit einem kurzem Nachrichtenaustausch und einer gleichen Idee: Sagwand Mittelpfeiler eventuell mit Direkteinstieg. Eine Tour die vor ein paar Jahren von Ines Papert & Luka Lindic unter dem Namen „Limited in Freedom“ erstmals mit Biwak begangen wurde. Lukas und mir gelang die Tour auf Anhieb als Tagestour vom Tal aus. Guter Einstand. So kann´s weitergehen.

Schrammacher die 2te

Der nächste Plan lässt nicht lange auf sich warten. Ein Foto von Lukas genügt und ich bin überzeugt, wir müssen erneut ins Valsertal.

Schrammacher bei Abenddämmerung

Nach unserer Sagwand-Odyssee schneit es vorerst einige Tage stark und auch wenn wir über eine Woche warten schreitet der Setzungsprozess aufgrund eines Kälteeinbruchs nur langsam voran. Und so kommt es, dass wir trotz Prognose für den kältesten Tag in der Woche (Schrammacher – 25Grad) am 15. Jänner am späten Nachmittag zur Geraer Hütte aufsteigen.

Eigentlich klingt die Idee schon absurd: ohne Ski am Morgen zur Wand spuren (rund 400hm/2km) in knie- bis hüfthohen Pulver und windgepresstem Bruchharsch. Danach eine 800hm Nordwand erklettern in der ungewisse Schwierigkeiten auf uns warten, einiges aufgrund der Verhältnisse vermutlich nicht mal kletterbar ist. Das Ganze bei eisigen Temperaturen und kurzem Zeitfenster, aufgrund des begrenzten Tageslichts. Ah ja und die unbekannten Schlüsselstellen warten ganz am Schluss, wo es nur noch die Flucht nach vorne gibt. Klingt auf jeden Fall nach einem Abenteuer.

Goodbye Innsbrooklyn im rechten Teil der Schrammacher Nordwand

Schrammacher Nordwand (flashback): mir ist die Wand noch gut in Erinnerung. 2022 gelang mir zusammen mit Simon Messner eine der wildesten Touren, die uns beiden noch lange im Gedächtnis bleiben wird: mir weil ich im Nachstieg eine metergroße Schuppe in den Abgrund reisse und die Schlüssellänge (8-) bei frostigen Temperaturen nur mit mentaler Absicherung klettern musste. Simon weil er mich in ebendieser Länge sicherte und aufgrund der Kälte leichte Erfrierungen in den Zehen davon getragen hat. „Goodbye Innsbrooklyn“: eine bisher nicht wiederholte Tour, die seinesgleichen sucht, aber laut Hüttenwirt der Geraer Hütte massiv von Felssturz betroffen ist.

Tag X – Schrammacher Direttissima

Und somit starte ich, getragen von diesen Erinnerungen, gemeinsam mit Lukas nach eher bescheidener, kalten Nacht von der Geraer Hütte in Richtung Wandfuß des mächtigen Schrammacher. Im Dunkeln lässt sich der optimale Weg durch das kupierte Gelände kaum finden. Über Mulden und Moränenrücken zieht sich der Zustieg und auch wenn wir teils hüfttief einbrechen zieht uns die Wand, spätestens als die Dämmerung ihre Umrisse erahnen lässt, förmlich an. Lukas leistet eine großartige Leistung in der Spurarbeit, dafür darf ich das Seil tragen und an dessen scharfem Ende klettern wenns mal ein wenig brenzliger wird. Arbeitsteilung ist der Schlüssel zum Erfolg.

Nach etwa zwei Stunden haben wir bereits Zustieg und das erste steilere Schneefeld hinter uns gebracht und machen uns am ersten Felsriegel zu schaffen. Die Nordwand des Schrammacher ist durchzogen von diversen Schneebändern die sich länglich von West nach Ost durch die Wand ziehen. Unser Plan: auf möglichst direktem Weg von einem Schneeband zum nächsten zu kommen. Teils müssen dabei Mixedpassagen geklettert werden und teils hoffen wir auf kletterbare Eisglasuren.

Seilfrei im unteren Bereich der Wand

In der Wand

Der erste Felsaufschwung ist noch seilfrei möglich, wobei wir eher schlechtes Eis und pulvrigen Schnee vorfinden. Kein gutes Zeichen für die immer schwerer und steiler werdende Wand. Am ersten Band müssen wir weit nach links traversieren um den erhofften Durchschlupf zu Schneeband Nr.2 zu erreichen. Wir seilen an. Bereits vor 75 Jahren wurde in diesem Bereich geklettert, die Kletterstelle mit V+ bewertet. Die Erfahrung lehrte uns, dass eine 5er Stelle bei einer Skala die bis 6 reicht, alles bedeuten kann. Außerdem wurde die Wand damals im Sommer in trockenem Zustand geklettert. Im Winter mit Eisgeräten und Steigeisen fällt einem das Plattenklettern nicht so locker aus der Hüfte. Und somit klettere ich in leichtem ZickZack ohne auch nur ein Zeichen einer früheren Begehung zu erkennen zum Auftakt eine 50 Meter Länge im Schwierigkeitsgrad etwa M7. Zeitaufwand eine gute Stunde nur für den Vorstieg. Zeit, die wir so nicht eingeplant haben.

Erste anspruchsvolle Mixedlänge

Weiter gehts!!

Ich erblicke bereits die Andeutungen einer Eisspur: ein paar eisähnliche Strukturen, die durch Schnee miteinander verbunden sind. Entstanden sind sie durch immer wiederkehrende Spindrifts und kleinen Lawinen welche sich stets den selben Weg der Wand abwärts suchen. Eine lange Seillänge trennen uns noch davon. Über das Schneeband findet Lukas einen optimalen Durchschlupf durch das folgende Felsband, dieses Mal zum Glück nicht allzu schwer, um Stand etwa 10 Meter links von der Eisglasur zu beziehen.

Schwer absicherbare Eis-/Schneeglasuren

Hoffnungsvoll klettere ich auf die Glasur zu, verbaue noch einige gute Zwischensicherungen bevor es ans Eingemachte geht. Anfangs recht steil aber gerade genug Eis um darauf zu klettern. Der Schein vom schlechten Eis am Einstieg trügte. Die Glasur hält und lässt sich mit großer Vorsicht erklettern. Natürlich lassen sich auf einer Platte mit durchschnittlich 1-2cm Eis-/Schneeglasur kaum Sicherungen unterbringen.

Weniger steil und traumhaft zu klettern

Nach einer Seillänge legt sich die Wand auch wieder etwas zurück. Und nach einer weiteren sind wir auch schon am oberen Schneefeld angekommen. Wir können es kaum fassen. Wir hätten uns keine besseren Verhältnisse erträumen können. Der Zeitplan ist wieder intakt und nun steht das nächste Rätsel bevor. Wir kreuzen die „Diagonale“, eine bei guten Bedingungen häufig begangene Route, welche im Fall als letzter Fluchtweg für uns gilt.

Unser Plan ist jedoch der direkten Ausstieg über eine seichte, steile Verschneidung, die direkt durch die Headwall des Schrammacher führt.

Eisspur im oberen Wanddrittel

Direktausstieg

Anfangs klettere ich über eine Rampe gefüllt mit perfektem Styropor-Schnee bis knapp unter einem Überhang, der von einem Schneepilz versperrt wird. Dieser lässt sich nur mühsam überklettern, geschweige denn wegschlagen. Ich versuche über rechts und über links, bis ich schlussendlich kniend auf dem 1-meter-großem Pilz Platz finde.

Rampe im oberen Wanddrittel – Schneepilz über mir

Ich finde gute Placements und siehe da, ein uralter, rostiger Haken ragt aus dem Fels. Während ich ihn clippe kommt er mir schon fast entgegen. Ich bereite mich für den Überhang vor, versuche mich aufzurichten und schon bricht der gesamte Schneepilz mit mir ab.

Über der Schlüsselstelle – Pilz weg

Kein Schock, kein Aufprall. Ich lande weich gemeinsam mit dem Schneepilz 3 Meter unterhalb auf der Rampe. Meine Sicherungen haben alle gehalten, nur die Rostgurke hängt lose im Seil. Sofort kann ich weiterklettern, mit dem Hindernis aus dem Weg finde ich schnell eine Lösung für den Überhang. Nach einigen kraftraubenden Moves legt sich das Gelände ein wenig zurück und ich erblicke erneut einen Haken, diesmal einen Ringhaken (vermutlich ein Verhauer?). Inmitten von einem massiven Plattenpanzer klettere ich über eine schmale Rampe, gefüllt mit perfektem Trittschnee, bis ich nach 70Metern endlich Stand bauen kann. Gerade rechtzeitig um Lukas, der bereits einige Meter nachkletterte, über den Überhang zu sichern. Der Weg nach oben scheint offen, jetzt gibt es nur noch die Flucht nach vorne.

Rampe nach der oberen Schlüsselstelle

Die Rampe steilt am Ende erneut auf und über eine gut strukturierte Verschneidung können wir weiterklettern. Der Fels wird etwas brüchiger, aber der Schnee bleibt größtenteils fabelhaft und somit komme ich nach 2 Längen am obersten Schneefeld an. Ich erblicke bereits die Sonne und kann den Gipfelgrat erahnen. Ein Juchzer kommt mir aus der Seele. Voller Freude kommt Lukas nach und klettert die letzte Seillänge bis zum Grat. Es ist 16.30, die Sonne steht schon tief, aber die Stimmung ist einfach genial. Wir umarmen uns und genießen kurz den Moment und steigen noch die letzten Meter zum Gipfel auf. Der Wind peitscht uns um die Ohren.

Sichtlich gezeichnet aber überglücklich am Gipfel des Schrammacher

Finito

Zeit dürfen wir keine verlieren, da der Abstieg über den Ostgrat und die Ostflanke vor allem bei viel Schnee unangenehm und lang ist. Wir können die gröbsten Stellen noch bei Dämmerung abklettern bevor die Dunkelheit hereinbricht. Ewig kommt uns der Abstieg vor. Bis zum Schluss ist größte Konzentration gefragt. Erst im Talkessel angekommen können wir durchatmen. Das Zurückspuren funktioniert automatisch, fast wie in Trance. Um 20.00 kommen wir völlig erschöpft auf der Geraer Hütte an. Die Abfahrt mit schwerem Gepäck und Notlampe wird noch ein Herausforderung aber wir sind wieder auf sicherem Boden. Wieder ein einzigartiger Tag und ein großartiges Abenteuer im wilden Valsertal. Eine Tour an der ich mit Sicherheit lange zehren kann. Danke Lukas.

Abstieg bei Dämmerung

Facts

Schrammacher Nordwand Direttissima

EB: Lukas Waldner & Martin Sieberer am 16.01.2024
Schwierigkeiten: max M7, AI6
Wandhöhe: 800m
Absicherung: komplett alpin, Keile, Friends bis Gr.2, ev. kleinere doppelt, ev. kurze Schrauben,
Zustieg: ab Geraer Hütte je nach Verhältnissen 1-2h
Abstieg: über Ostgrat bzw. Ostflanke in Richtung Alpeiner Scharte, ca. 3h bis Hütte

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