(Ver-)Planung

Eigentlich einigten wir uns auf eine Woche Pala um Alpinklettern zu gehen und neue Gebiete zu erkunden. (Ver-)Planung und kalte Temperaturen ließen uns jedoch vom eigentlichen Plan abweichen und richtete unsere Blicke mehr nach Westen bzw. in die Nordwände. Die Idee einmal die Bonatti am Matterhorn zu klettern schwirrt schon einige Zeit in unseren Köpfen herum, jedoch ist die Fahrt zum Hörndl für mich bis jetzt immer mit ein wenig Abneigung und Ehrfurcht verbunden. Zwei Mal bin ich schon zur Nordwand hin und zwei Mal hat sie mich abblitzen lassen.

Dieses Mal steckten wir unsere Ziele nochmal etwas höher: die legendäre Route von Walter Bonatti, welche er im Winter 1965 im Alleingang in vier Tagen erstieg. Bonatti beendete nach dieser Odyssee seine Bergsteigerkarriere, doch sein Vermächtnis mit dieser außergewöhnlichen Linie blieb. Ein Hauch von Mystik & Erhabenheit umgibt die Route weshalb sie in den letzten 50 Jahren kaum Wiederholungen sah.

Es geht los

Dieses Wochenende ist es endlich soweit. Matterhorn wir kommen. Einziges Manko: wir haben nur 2 Tage Zeit inklusive Anreise. Das heißt für uns: Wir müssen einen Aufstieg im Single Push probieren und eventuell mit einem Wandbiwak rechnen.

Am Samstagabend reisen wir gemütlich an. Gegen 22.00 erreichen wir Visp, wo wir im Auto eine kurze Nacht verbringen.Um 2.45 läutet der Wecker. Kaffee. Brot. Weiterreise nach Täsch. Auto parken. Um 4.00 Weiterfahrt mit dem Zug nach Zermatt. Um 4.20 beginnt unser Aufstieg in Richtung Hörnlihütte. Knappe 2000 Höhenmeter wandern wir mit schwerem Gepäck der Wand entgegen. Das Matterhorn gilt wohl als einer der bekanntesten und fotogensten Berge der Welt. Zu recht. Es gibt wohl kaum eine perfektere Pyramide.

Es herbstlt schon sehr, jedoch beschleunigt der kühle Morgen unseren Aufstieg. Um kurz vor 8.00 treffen wir auf der Hütte ein, wechseln auf Bergschuhe, organisieren unser Equipment und marschieren sofort weiter in Richtung Nordwand. Der untere Bereich der Route stellt für uns ein wichtiges Entscheidungskriterium dar. Wenn dort der Schnee nicht passt, wechseln wir zu unserem Alternativplan: die normale Nordwandroute. Auch wenn mit einigen Aspiranten zu rechnen ist, sollte um diese Zeit auch dort keine Staugefahr mehr bestehen.

Am Fuße der Nordwand

Der obere Wandteil schaut ganz passabel aus. Feine Eisspuren sind zu sehen, welche bis in den Quergang der Schmid-Route reichen. Von dort wissen wir, dass bis zum Gipfel gespurt ist.

Bonatti

Je näher wir der Wand kommen, umso mehr baut sich der Koloss vor uns auf. Der Schnee wechselt von perfekten Trittfirn zu Pulver. Wir hoffen auf ersteres in der Wand ansonsten ist unser Plan nicht möglich.

Seilfrei im unteren Abschnitt

Um halb 10 steigen wir in die Bonatti ein. Seilfrei vorerst um schnell voranzukommen, was bei dem teils perfekten Schnee einen Genuss darstellt. Nur einige Aufschwünge sind mit grundlosem Pulver eingeblasen. Schnell erreichen wir das erste Schneefeld um über eine Rinne zum sagenumwobenen Engelsquergang zu gelangen. Hier seilen wir an. Zu undurchsichtig und komplex schaut das Mixed-Gelände vor uns aus. In 2-3 Seillängen geht’s linksquerend auf und ab, teils recht wackelig und schwer absicherbar. Am Ende erreicht man eine Felsnase, gefühlt eine Art Endbahnhof: Rechts überhängende, brüchige Wandflucht, vorne und links geht es einige hundert Meter in freiem Fall in die Tiefe.

Im berüchtigten Engelsquergang
Überhängender Riss als Ausweg aus der Sackgasse

Ein überhängender Riss am äußeren Ende des Schnabels weist den Weg und führt zu zwei Haken. Dort ist man, wie beschrieben, extrem exponiert. Unvorstellbar wie Walter Bonatti seinerzeit diese Stelle gemeistert hat.

Der Umstand, dass man sich am Ende eines Trichters befindet, dessen oberer Eingang im Quergang der Schmid-Route endet, führt dazu, dass an Wochenenden Steinschlag vorprogrammiert ist. Zwei mal hageln Steinsalven über uns hinweg, weshalb wir froh sind, dass unser Weiterweg über zwei „Eisspuren“ (eher Wühlgullys) weiter links führen. Langsam macht sich das steile Gelände im Zuge von Wadelbrennen bemerkbar. Wir fühlen uns aber nach wie vor fit und ein Wandbiwak rückt aufgrund des guten Fortschritts in die Ferne.

Die Wadeln fangen langsam brennen an

Nach den Schneegullys erreichen wir gegen 16.00 den ersten Stand in der Schmid-Route. Jetzt sollte der Weiterweg ein Kinderspiel werden. NOOT!!

Schmid: Müde Beine und Dunkelheit

Die Querung in der klassischen Nordwandroute meistern wir nicht so schnell wie erwartet. Müde Beine und hartes Eis machen den Weiterweg mühsam. Nach dem Eisfall lassen wir uns von ein paar Schlingen und Spuren verleiten geradeaus weiterzuziehen und nicht nach rechts die Schmid-Route weiterzuverfolgen. Die folgende Eislänge lässt mich an meine Grenzen kommen: Kein Saft mehr in den Armen, die Hauen stumpf wie eh und je und die Dämmerung ist schon weit fortgeschritten. Mit allerletzten Kräften kämpfe ich mich über den Überhang um an einer Schraube Stand zu beziehen. Simon geht’s gleich und kommt angeschlagen bei mir an. Die Stirnlampen bereits an suchen wir uns rechtshaltend einen direkten Weg durch die Dunkelheit in Richtung Zmuttgrat. Ich kann kaum noch stehen, zu lange schon bewegen wir uns auf steilem Eisuntergrund. Die Unsicherheit bezüglich Weiterweg bringt uns mental auch ans Limit. Die letzten Längen führt uns durch leichtes Mixedgelände, kaum absichernd bis wir nach einigen Stunden endlich am Zmuttgrat aussteigen. Wir sind uns einig, dass wir unbedingt einen Biwakplatz finden müssen und noch wichtiger endlich was trinken müssen. Seit wir von der Hörnlihütte los gestartet sind, haben wir nur ein paar Schluck getrunken. Anfangs brauchten wir nicht viel, danach sind unsere Flaschen eingefroren.

Im Engelsquergang. Anfangs waren wir noch motivierter für Fotos.

Da es ziemlich windig am Grat ist, müssen wir unbedingt einen geschützten Platz finden. Nach zwei weiteren Längen am Seil, packen wir das Seil weg und wandern den Spuren nach in Richtung Gipfel. Leider können wir keinen geeigneten Biwakplatz ausmachen und so erreichen wir notgedrungen um 23.00 den Italiener-Gipfel des Matterhorns. Kurz geben wir uns die Hand verschnaufen aber verweilen nur kurz.

Gipfelselfie mit Mond im Hintergrund

Abstieg und Biwak

Wir hoffen im Abstieg auf ein Biwak oder im Zweifelsfall bis zur Solvayhütte abzusteigen. Schweren Schrittes steigen wir den gespurten Hörnligrat ab. Teils abseilend ist die Routenfindung dank der vielen Verankerungen und Seile Gott sei Dank kein Problem. Einige Male erscheint uns die Hütte direkt vor der Nase, bis wir erkennen das der Schein uns trügt. Nach stundenlangem Abstieg erreichen wir um kurz vor 3.00 doch noch die Solvayhütte. Überglücklich fällt endlich die Last von den Schultern. Da kein Bett mehr frei ist, legen wir uns auf den dreckigen Boden. Aber alles egal, Hauptsache in Sicherheit.

Wenig Komfort bietet der splittrige Boden in der Solvayhütte. Nachdem einige „Gäste“ früh aufbrechen ergattern wir für ein paar Stunden doch noch eine Matratze. Gegen 8.00 stehen wir auf, obwohl uns der Vortag noch stark in den Knochen steckte. Die ersten Gehversuche am Morgen fühlten sich an wie verkatert nach einem Autounfall, trotzdem müssen wir los, da die Zeit knapp berechnet ist. Nach ein paar Schluck Wasser steigen wir gegen 9.00 ab.

Unglaublich wie schnell man wieder zu Kräften kommt. Recht schnell erreichen wir die Hörnlihütte, packen unsere restlichen Sachen zusammen und steigen den weiten Weg bis Zermatt ab.

Fazit: Manchmal muss man Projekte einfach probieren, auch wenn man scheitern kann. Mich hat die Nordwand zwei Mal zurückgewiesen, weil ich es probiert habe jedoch die Verhältnisse bzw. das Wetter nicht mitspielte. Mir war vor allem wichtig, nicht einer eingepickelten Route zu folgen bzw. wollte ich nicht mit fünf Seilschaften in der Route sein. Schlussendlich beim dritten Versuch ist uns die Route von Walter Bonatti geglückt, ein Meilenstein in der Alpingeschichte.

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