Die Himmelsleiter
Die Verhältnisse im Amphitheater sind heuer außergewöhnlich gut. Das Amphitheater ist ein Teilbereich des Eisklettergebiets im Pinnistal, wobei die meisten Routen vom Pionier Andi Orgler erschlossen wurden. Die Touren sind eher als abenteuerlich und mental anspruchsvoll einzustufen, vor allem auch weil sich selten genug Eis bildet um einige der Routen sicher begehen zu können. In den letzten 5 Jahren bildete sich nie ansatzweise so viel Eis, vor allem nicht im Bereich der Himmelsleiter. Anfang Jänner gelingt Simon und mir der Magier mit Eisglasureinstieg (WI6) zusammen mit Johnny^2. Am gleichen Tag klettern wir die Himmelsleiter (M6/WI7-) on sight. Die Himmelsleiter wird diese Saison so viele Begehungen sehen wie nie zuvor, sie wird fast schon zur Plaisirroute abgestempelt vor allem weil sich oberhalb des Mixedteils ein kompaktes Eisschild bildet (M6/WI5+). Stichwort: Social Media. Selber schuld.
Der Eremit im Pinnistal
Nachdem ich mit Johannes Kehrer 2017 bereits im äußerst linken Teil des Gebiets einen cleanen Mixed-Einstieg für die „Eiszeit (WI5)“ begehen konnte (Mixed-Joe M7/WI5+) wusste ich von dem brüchigen, überhängenden Riss, der zu einer dünnen Eisglasur führt welche jungfräulich links neben der Himmelsleiter darauf wartet geklettert zu werden. Ein alter Bohrhaken(Abseiler) markiert dabei den Einstieg. Geradeaus zum leichteren Mixed-Joe oder nach rechts in den abdrängenden Bruch. Anfang Februar wagen Simon und ich einen Versuch. Mit Haken, Pecker, Friends und Keilen en masse hangeln wir uns über die Länge. Ein Rotpunkt dieser Länge erscheint aussichtslos: Zu schlechte Hooks, schlechte Zwischensicherungen und in den ersten 10 Metern kaum gute Tritte im Pinnis-Kalk. Wir belassen zwei Haken und einen Pecker und schauen uns den Weiterweg an.
Das Spiel auf rohen Eiern
Die letzte Wärmeperiode hat ganze Arbeit geleistet. Die Glasur in der 2. Seillänge ist teils zentimeterweit vom Fels gelöst und lässt sich mühelos wegschlagen. Ich wage einen Versuch und hoffe auf Sicherungsmöglichkeiten im Fels. Ich arbeite mich im wahrsten Sinne von Scholle zu Scholle, welche in etwa 10 Meter voneinander entfernt fest mit dem Fels verbunden sind. Besagte Schollen dienen als Safespots an denen Zwischensicherungen angebracht werden können. Dazwischen liegen filigrane Eisglasuren welche kaum mit Körpergewicht belastet werden können. Sensible Fußarbeit ist König. Der Mittelteil, kurz vor der rettenden Ausstiegsscholle, markiert die Crux, das große Fragezeichen für heute. Eine dünne Eisglasur, 10 Klettermeter und keine Sicherungsmöglichkeiten. Der Ton, den die Glasur von sich gibt spricht Bände. Die Glasur entpuppt sich als elastisches Eisgebilde, das beim Anblick der Eisgeräte bereits der Gravitation zum Opfer fällt. Auch gut. Eine Option bzw. eine Entscheidung weniger. Bleibt nur der Abbruch oder der Aufbruch im Fels.
Der Fels im Pinnistal genauer gesagt am Kirchdachsockel ist speziell. Ähnlich dem Fels in den Kalkkögeln ist er eher als brüchig, unzuverlässig und sicherungsresistent zu bezeichnen. Aber die waagrechte Schichtung lässt häufig kleine Bänder entstehen welche sich in unserem Fall optimal für das Setzen der Eisgeräte eignen. Und somit konnte ich in einem Moment der Klarheit (Naivität) kurz die nicht vorhandene Sicherung außer Acht lassen und mich zur letzten Scholle retten. Im Nachstieg bricht Simon ein Hook aus, welcher mir zuvor noch als Aufstiegshilfe gedient hat. So viel zum Thema Bomben-Hooks vs. Selektiver Fels.
„Die Vergangenheit ist Etwas für Zuhause. Die Zukunft ist die nächste Scholle.“ (Andreas Orgler)
Die Erstbegehung ist geglückt, der Rotpunkt der ersten Länge steht gefühlt noch in weiter Ferne.
Red Point
Eine Woche später stehen wir erneut am Einstieg. Voll motiviert, aber ohne Druck bringen wir die ersten Sicherungen an. Ein weiter Sturz ist keine Option, da die Sicherungen bzw. der Fels dies nicht zulässt und ein Ausriss einer Zwischensicherungen mit Groundergefahr gleichzusetzen ist. Wider Erwarten schaffe ich die Querung bis zum „guten“ Riss bzw. „gutem“ Haken (Anm.: die ersten Wiederholer konnten den „guten“ Haken einfach rausziehen). Nach einigen Minuten taktischem Brainstormens wage ich die letzten Züge bis zum sicheren Band. Nur noch einige Meter in Glasur und Säule und ich erreiche den Stand. WTF! Tatsächlich geschafft. Die Route ist befreit. Der Einsiedler (Eremit) ist im Amphitheater angekommen. Die Schwierigkeiten der Route bestehen vor allem in der mentalen Bereitschaft seinem Können zu vertrauen und den Schritt in die Unsicherheit zu wagen. Für uns ist diese Erstbegehung etwas ganz besonderes. Der Eremit steht für einen sauberen Stil, der Können und mentale Stärke auf eine Ebene setzt. Vor allem der Stil und die Herangehensweise ist uns wichtig und sollte im Pinnistal und besonders im Amphitheater erhalten bleiben.
Der Ritt auf dem Kometen
Euphorisch und teils auch überrascht über das schnelle Abhaken des Projekts, blieb uns nichts anderes übrig als auch noch einen weiteren Meilenstein im Pinnistal in Augenschein zu nehmen. Die Augenweide „Comet (M7/Wi7-)“ ist heuer besonders gut gewachsen. Umso mehr verwundert es, dass sich dieses Schmankerl im Wohnzimmer Innsbrucks heuer noch keiner vorgenommen hat. Dem Komet umgibt seit Beginn an eine gewisse Unnahbarkeit. Andi Orgler beging die Tour Mitte der 90er in technischem Stil. Seither gibt es ganz wenige Begehungen, kaum freie Wiederholungen wobei mir ist nur eine freie Begehung von Hangl Benni sen. mit Kletterschuhen bekannt. Der Ausstieg ist das Problem, da dieser nur ganz, ganz selten eine Eisglasur aufweist. Heuer ist es soweit. Die 1. Länge geht überraschend gut auf. Alte Rostgurken weisen den Weg. An der Kreuzung zum Magier führt die zweite Länge in den sagenumwobenen Kometen. Das erste Dach zum Eiszapfen wird bereits zum Kraftakt, da grundsätzlich die Form eines einzelnen Eiszapfens leider wenig Trittmöglichkeiten bietet. Die zweite Hürde/zweites Dach ist ebenso schwierig, nur dass kurzzeitig überhaupt keine Trittmöglichkeiten bestehen und die Füße kurz frei baumeln. Hooks in der Glasur. Alsbald man die erste gute Schraube wieder setzen kann befindet man sich auf sicheren Boden. Eine unglaubliche Fahrt auf dem Kometen. Wohl eine meiner imposantesten Eistouren bisher.
Fazit: Zu guter Letzt
Zum Abschluss dieses äußerst ergiebigen Pinnistal-Winters konnte ich auch noch eine schon häufig beäugte Trad-Tour im vorderen Bereich, den „Besinnungsweg“ on sight klettern.
Alles in allem ein ausgiebiger Eis-Winter wenn man bedenkt, dass die Saison im Pinnistal gerade mal eineinhalb Monate angedauert hat. Es ist wirklich schön anzusehen, wie heuer die Verhältnisse derartige Begehungen zuließ. Einige Touren werden vermutlich erst in fünf bis zehn Jahren wieder ähnliche Bedingungen aufweisen. Deshalb ist grundsätzlich die Devise: Abwarten und dann Genießen wenn es die VErhältnisse zulassen. Weshalb wir auch bewusst darauf hinweisen wollen, dass die Routen im Pinnistal, besonders im Amphitheater, im traditionellen Zustand erhalten bleiben sollen, um weiteren Generationen dieses Erlebnis nicht vorzuenthalten.