Eine Leidensgeschichte in 3 Akten

Prolog

[irgendwann damals

Ich bin tief in meiner Hängematte versunken und starre auf meine zerschundenen Hände. Die Handrücken sind geschwollen und aufgeschürft, die Finger blutig. Die letzten Tage Rissklettern in Cadarese haben deutlich ihre Spuren hinterlassen. Gut, dass wir heute mal Pause machen. Besser wär’s allerdings, wenn wir in Tirol auch mehr Möglichkeiten hätten unsere Gliedmaßen in Risse zu quetschen, dass man sich mal daran gewöhnen könnte. Wir philosophieren darüber, welche Risse Tirol so zu bieten hat. Ein paar gibt’s dann doch und wenn man sich im Kalk umschaut kommt man an drei Touren einfach nicht vorbei: Locker vom Hocker im Schüsselkar, Tschechenplatte an den Schnittlwänden und die legendären Pumprisse im Wilden Kaiser. Flo kam dann mit der Idee, die drei Touren zu klettern und mit dem Rad von einer zur nächsten zu fahren. Klingt vernünftig, des mach ma mal.

[Frühling 2020

Der Pausetag in Cadarese liegt jetzt schon einige Jahre zurück, aber die Idee hat überlebt und ist in all den Jahren zu einem konkreten Plan gereift. Flo ist mittlerweile zwar in Kanada sein PhD machen aber ich darf mir die Idee klauen und wie so oft, war Mascht nicht schwer für diesen kleinen Ausflug zu Überreden. Mit dieser Idee im Hinterkopf haben wir es auch tatsächlich beide geschafft, bis heute keine der Touren zu klettern.

Schlussendlich war dann der Lockdown heuer im Frühling ausschlaggebend, das mit der Tiroler Riss Trilogie endlich mal in Angriff zu nehmen. Der Zwangsurlaub gab uns dann auch genug Zeit zur Vorbereitung und ich war – zumindest klettertechnisch – so fit wie noch nie. Wir stehen also voll im Saft und der Plan steht auch: Wir fahren in drei Tagen mit dem Rad vom Schüsselkar übers Karwendel in den Wilden Kaiser und klettern nebenbei die drei Touren. Für die gibt’s natürlich auch nur einen Stil: Onsight. Und weil ich grad so viel Strom habe, gilt selbiges natürlich auch für die Zustiegslängen der Pumprisse. Es kann also losgehen… 

Mit Arbeiten. Nach den drei Monaten Stillstand will sich erst mal mein Konto wieder erholen. Auf dem Gletscher wird man klettermäßig aber erst so richtig stark und ich schaffe es sogar zwischen den ganzen Hochtouren ein, zwei Kletterzüge im 6ten Grad unterzubringen. Immer noch „topfit“ geht’s jetzt also wirklich los.

1.Akt – Locker vom Hocker

Tiroler Riss Trilogie, 1.SL Locker vom Hocker

[September 2020]

Um halb 6 reißt mich der Wecker aus meinem Gedöse, schlafen konnte ich schon länger nicht mehr. Scheint so, als wär ich bissl nervös vor dem was uns erwartet. Erst mal gemütlich frühstücken – dafür muss immer Zeit sein – das Rad aufpacken und ab zum Zug. Die ersten Kilometer bis Seefeld machen wir es uns noch gemütlich bevor wir auf muskelbetriebene Fortbewegung umsteigen. Wir rollen also runter nach Leutasch, packen die Klettersachen für den Tag in unsre Rucksäcke, parken die Räder irgendwo ins Gebüsch und spazieren gemütlich ins Puittal zu unserem ersten Ziel.

Locker vom Hocker
Schüsselkar
UIAA 8

Güllich, Albert 1981

Nach 1,5h stehen wir am Einstieg – ihr wisst ja wie das mit dem „gemütlich Spazieren“ so läuft – und uns wird beiden wieder klar warum wir nervös waren und immer noch sind. Eine feine Rissspur durchzieht den beeindruckend glatten Wandsockel der Schüsselkarspitze und über genau diese geht’s rauf. Wir wissen immer noch nicht wer startet, zum Teil weil wir uns beide nicht sicher sind welche der schweren Längen wir weniger ungern Vorsteigen wollen, vor allem aber weil dann die Nervosität sicher noch größer wäre. Wir schniggen es also wie üblich aus. Gewinner startet oder sucht aus? 
Startet! Entscheiden will immer noch keiner.

Schere – Schere

Papier – Papier

Schere – Schere

Jetzt reicht’s dann. An dem Punkt startet das übliche Mindgame, mit allen möglichen Szenarien. Was mach ich jetzt um zu gewinnen? Unterbewusst wird mir plötzlich klar, dass ich eigentlich gar nicht gewinnen will.

Stein – Papier

Mascht ist also dran und ich bin recht froh darüber. 

Langsam geht’s Meter für Meter nach oben, immer wieder mal einen Keil oder Friend im Riss platzierend. Der Pump ist ihm deutlich anzusehen, die paar feuchten Griffe machen das Ganze auch nicht besser doch Mascht schafft es sturzfrei bis zum ersten Stand und der Auftakt ist gelungen. Die zweite Länge ist noch ordentlich nass, läuft ihm aber auch noch gut rein. 

1.SL Locker vom Hocker
Tiroler Riss Trilogie, 3.Sl Locker vom Hocher

Jetzt bin also ich an der Reihe mit der zweiten schweren Länge. Der Fingerriss ist deutlich besser abzusichern als erwartet, und als die anfängliche Nähmaschine ihre Arbeit vollendet hat, tänzle ich nach rechts über die Platte zum beruhigenden Haken. Ein paarmal noch diffizil Ansteigen und nicht mehr allzu schwer weiter bis zum Stand. Nach einer weiteren schönen Risslänge stehen wir auf dem Band und somit am Ende der Schwierigkeiten. Es ist bereits 1 Uhr und wir entscheiden uns abzuseilen, unser Tag ist hier ja noch nicht beendet.

Bis zur Kastenalm radelten wir noch recht gemütlich dahin und am Isarursprung gab’s eine kurze Abkühlungspause. Davon ist jetzt nichts mehr zu spüren. Ich wusste zwar, dass es zum Schluss noch mal steil wird, aber WIE steil hab ich wohl verdrängt. Die schweren Satteltaschen machen das Rad extrem hecklastig und anstrengend zu Schieben auf dem lockeren Weg. Als wir dann endlich am Hallerangerhaus ankommen, sind wir völlig am Arsch.

Huans drecks Biche

Der Autor, Sept. 2020

Feierabend gibt’s allerdings noch nicht. Nach dem Essen tragen wir die Räder noch ein gutes Stück Richtung Lafatscher Joch, um uns die Tortur für morgen etwas zu erleichtern. Mittlerweile ist auch Filzi da, der uns die nächsten zwei Tage zum Filmen und Fotografieren begleiten wird. Wir gönnen uns noch ein Bier für den Elektrolythaushalt und fallen endlich ins Bett.

2. Akt – Tschechenplatte

Tiroler Riss Trilogie, Tschechenplatte

Nach einer unruhigen Nacht ist heute der Zustieg zumindest wirklich gemütlich und wir sind vom Hallerangerhaus in wenigen Minuten am Einstieg. Unsere Sorge, dass von den starken Schauern ein paar Tage zuvor noch einiges nass ist, wurde vorerst nicht bestätigt. Nur die erste richtige Risslänge sieht im unteren Teil noch feucht aus. Ich bin heute dran mit Anfangen aber der Start ist eh bloß so ein Rampeneinstieg mit einem kurzen nassen Boulder, also kein Problem – gerade recht zum Aufwachen. Die zweite Länge ist dann auf dem Papier schon die Schlüssellänge mit 8-. Ein paar Finger-Jams, kurz hoch ansteigen und schon ist der Spaß auch wieder vorbei. Wenn man’s weiß…

Tschechenplatte
Karwendel
UIAA 8-
Novak, Krupka, Doubal 1979

Wir wissen es natürlich nicht und Mascht baumelt ein paar Meter neben mir, mit einem guten Kaltpump, im Seil. Das geht ja gut los heute. Der vorhin objektiv trocken wirkende Fels feuchtelt doch ganz gut. Unsere onsight Ambitionen sind damit auch beseitigt, was aber zumindest den eigenen Druck deutlich minimiert.

Also zurück auf Start. Ausbinden, Seil abziehen und ein zweiter Versuch. Der klappt dann auch und Mascht hängt den Quergang bis zum Anfang vom eigentlichen Risssystem auch gleich dran. Jetzt sind wir da wo es nass ist und ich bin wieder dran. Und es ist so richtig grindig nass. Nach jedem Griff Hände in die Hose wischen, chalken und das Ganze wieder von vorne. Ich klettere zweimal rein, aber habe heute definitiv nicht den Kopf für Gepiaze und blinde Placements auf rutschigen Tritten und lasse Mascht den Vortritt. Da macht sich der schlechte Schlaf mental grad deutlich bemerkbar. Mascht hat offensichtlich besser geschlafen und würgt sich irgendwie über die nasse Stelle drüber. Ob da ein kausaler (schnarchender) Zusammenhang besteht, bleibt nur zu Munkeln.

Ausstieg Tschechenplatte

Die nächsten Längen fordern uns auch nicht schlecht aber klappen zumindest auf Anhieb, wenn auch langsam. Am letzten Stand seilt gerade der Hausmeister persönlich neben uns ab und gibt uns noch paar Tipps für die beste Linie oben raus – etwas anders als im Topo über die Direkte bis zu einem Zwischenstand und dann kurz über Löcher nach rechts zum Riss. Nicht die Einfachste aber scheinbar die schönste Linie. Schönste Linie klingt gut, denken wir uns und kurz darauf hängt Mascht auch schon wieder paar Meter unter mir im Stand. Nicht die Einfachste, soso, laut Topo hald 7. Als Mascht das zweite Mal am vorherigen Startplatz rumwackelt, kommen von unten noch nützliche Infos.

Die ersten paar Meter sind bissl zum Festhalten. Vielleicht so 7+/8-. Dann so bald wie möglich nach links raus zum Riss und dann wird’s leichter.

Zak H., Sept. 2020

Aha, motivieren läuft beim Herrn Zak – zu seiner Verteidigung hat er den Abflug vorher nicht gesehen. Ich schinde mich dann noch die letzte Länge hoch und wir haben es endlich geschafft. Das onsight ist zwar weg aber zumindest den roten Punkt haben wir noch in der Tasche.

Am weg zum Lafatscher Joch

Der eigentliche Burner des Tages wartet aber noch auf uns. Es ist bereits deutlich nach Mittag und wir sollten bis zum Abend noch zum Stripsenjoch radeln. Trödeln ist also nicht angesagt. Wir steigen ab, packen unsere sieben Sachen und starten in Richtung Lafatscher Joch. Dass wir unsere Räder bereits gestern den steilsten Teil hochgetragen haben bereuen wir keine Sekunde. Der letzte Teil bis aufs Joch ist immer noch mühsam genug und dort angekommen wird uns auch klar, dass wir mit den Rädern heute wohl nicht mehr bis zur Strips kommen.

Es ist bereits 15 Uhr und vor uns liegen ca. 80km radeln bei Gegenwind bis Kufstein und dann geht’s noch das ganze Kaisertal rein. Realistisch ist das nicht mehr, also entscheiden wir uns die Strecke bis Kufstein per Zug abzukürzen, damit wir noch einen Tropfen Energie für die Pumprisse morgen übrig haben. Am Ende wird’s dann trotz der Zugfahrt noch ein langer Tag und es ist schon eine Weile dunkel, bis wir völlig in Trance auf der Strips eintrudeln.

3. Akt – Pumprisse

Tiroler Riss Trilogie, 3.SL Pumprisse

Wie spät wir heute wieder im Tal sind ist uns schnurzpiepegal, wir haben also alle Zeit der Welt und starten in der Früh gemütlich los. Meine einstigen Ambitionen die Zustiegslängen frei zu klettern sind schon längst verflogen und ich bin froh, wenn wir unsere Kadaver heute überhaupt noch die Pumprisse hochschinden können. Welchen Einstieg wir klettern haben wir allerdings immer noch nicht entschieden. Roli – den wir im Zustieg treffen – nimmt uns diese Entscheidung ab und meint der Originale wäre sicher kräfteschonender. Der will aber auch geklettert werden und vor allem im Nachstieg macht sich heute auch der Rucksack deutlich bemerkbar. Beim Quergang zum Hundebahnhof bekomme ich fast wieder bisschen Lust auf technoklettern, aber nicht heute. Jetzt heißt es wieder Arschbacken zusammenkneifen und zurück in den onsight Modus und endlich kommen auch die fetten Cams zum Einsatz, die wir schon die ganze Zeit mit uns rumschleppen.

Pumprisse
Wilder Kaiser
UIAA 7
Kiene, Karl 1977

Die ersten Meter weg vom Hundebahnhof sind noch recht passabel aber dann geht’s richtig los. Von einem guten Henkel weg wird der Riss breit und völlig glatt, ein Stück rechts daneben beginnt ein zweiter Riss und Mascht wuchtet sich wie an einem Kühlschrank Zentimeter für Zentimeter nach oben bis die Pumprisse ihrem Namen alle Ehre machen und er wieder neben mir am Stand hängt. Begleitet von ein paar alten Schlingen die den Sturz nicht überstanden haben. Jetzt liegt’s also an mir, wir tauschen die Führungsrolle und ich klettere hoch bis zum letzten Cam, in den ich jetzt ziemlich viel Vertrauen habe. Es gelingt mir völlig ausgespreizt an den glatten Risskanten etwas weiter hochzustemmen, der rettenden Tritt springt mir aber auch nicht ins Auge und der Cam, den ich aus Verzweiflung noch irgendwie blind in den Riss stecke zum Nullern, hält nicht mal mein Körpergewicht.

Abgang in den Pumprissen

Ein weiterer Schrei ergeht durch die Steinerne Rinne. Ich hänge also auch wieder einige Meter tiefer neben dem Stand und übergebe die Führung wieder an Mascht und mich fast mit. The pump is real.

Gewusst wie, mit dem erwähnten Tritt, geht’s dann eigentlich recht gut und im zweiten Versuch klettern wir die Länge dann durch. Im Nachstieg mit dem Rucksack ist der Pump am Ende allerdings nur marginal weniger. Es folgen zwei „leichtere“ Längen bevor es wieder weitergeht mit kompromisslosem Rissklettern im Kalk. Die vorletzte Länge ist eine 90° Verschneidung, unten Faust und später dann etwas breiter, ohne die Möglichkeit in klassischer „European Style“ Manier irgendwelche Minileisten herzuknallen. Ich parke also meine Gliedmaßen im Riss und versuche mich mit den Füßen irgendwo zentimeterweise hochzuschieben. Obwohl ich zwischendurch kurz daran zweifle komm ich irgendwie am Stand an und uns trennen nur noch wenige Meter vom Grat. Der Rucksack wird ab jetzt gehault, mit dem Ding am Rücken wär’s da hoch richtig schwierig. Die letzte Länge läuft Mascht dann auch noch gut rein und unser kleiner Ausflug hat endlich ein Ende.

4.SL Pumprisse

Epilog

Nach 3 Tagen mit vielen, wunderschönen Riss-Klettermetern in allen Breiten und viel zu vielen, mühsamen Rad-(Schiebe)Kilometern, stehen wir also endlich am Nordgrat des Fleischbankpfeilers. Vor uns liegt zwar noch ein weiter Weg zurück bis Kufstein, aber der ist in diesem Augenblick erstmal nebensächlich und auch wenn wir am Ende etwas vom ursprünglichen, doch recht ambitionierten Plan abweichen mussten, sind wir der Meinung, dass wir uns die paar Bier jetzt durchaus verdient haben.

An der Stelle ergeht noch ein fettes MERCI an Filzi und Gumpi für die Unterstützung. Stay tuned für das kleine Filmchen, das daraus entstehen wird.

 am Hundebahnhof

Bilder: Christian Pfanzelt, Filzmoser Stefan

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