Eine Geschichte, wie aus einem alten Bergsteiger-Epos. Verdrängt aufgrund meines geschäftigen Sommers, aber eindrücklich genug, um sie aufzuschreiben -> zwecks mentaler Aufarbeitung: RIEPENWAND bei Gewitter.

Der Wetterbericht war gut. Gewitter am späten Nachmittag. Zu Mittag, dachten sich Andreas und ich, sind wir eh aus der Wand raus, da die Tour nicht so lang ist und sich die Kletterschwierigkeiten im Rahmen halten. King Crimson: erstbegangen von Purtscheller/Wolf 1977 und benannt nach einer britischen Rock-Band.

Die Riepenwand, wie generell die gesamten Kalkkögel, sieht nur wenige Begehungen im Jahr. Wenn man der Kletterbibel auf der Adolf-Pichler Hütte Glauben schenken darf, zählt diese Begehung zur vierten im Jahr 2019, von denen zwei auf mein Konto gingen. Ein Mythos der Ernsthaftigkeit umgibt die Wand. Vermutlich zurecht.

Mitten in der Wand

King Crimson

Am Zustieg bemerken wir bereits, dass eine Nebelglocke die Riepenwand umhüllt: Mystisch aber nicht abschreckend. Erhaben vielleicht. Eine blanke Wand die erst knapp am Wandfuß sichtbar wird und im Nebel endet. Man kann nur erahnen wie weit es nach oben geht. Die Schichtung des schwarz/gelben Felses ist einzigartig. Mit Routenverlauf im Kopf klettern wir die ersten Längen hinauf. Man muss schon einen guten Sinn für den logischen Verlauf haben. Eine Orientierung an Haken ist nicht ratsam, da diese eher rar sind. Absichern ist meist auch nur marginal möglich, dafür halten sich die Schwierigkeiten in Grenzen. Abenteuerklettern vom Feinsten.

Nach dem berüchtigten Quergang stehen wir wie erwartet im Wasserfall. Ein Umstand der meist lange in den Sommer anhält, und aufgrund eines Schneefelds im oberen Wandteil existiert. Der Nebel umhüllt immer noch die Wand und es ist bereits Mittag. Ein bis zwei Längen noch und wir können ein Band bis zur Scharte zwischen Riepenwand und Ochsenwand queren. Maximal 30 Minuten.

Im Quergang

Entscheidung

Ich steige in den Wasserfall ein, bemühe mich schnell zu sein, jedoch erfordert die Länge höchste Konzentration. Stürzen ist in solchen Touren einfach nicht erlaubt. Im Trichter am Ausstieg der Länge fällt es mir erst auf. Klitschnass. Nicht nur vom Wasserfall. Es hat tatsächlich zu regnen begonnen und ehe ich mich versehe schüttet es in Kübeln. Über ein kleines Schneefeld renne ich in eine kleine Nische, beziehe Stand und hole so schnell es geht Seil ein. Wir müssen raus aus der Wand, bevor…. der erste Blitzschlag und kurz danach ein grausames Donnergrollen. Mittlerweile rinnt ein Sturzbach der sich aus drei Rinnen nährt, direkt auf meinen Kletterpartner zu. Die ersten kleineren Steine folgen. Ich versuche ihn mit aller Kraft schneller herauf zu ziehen. Der nächste Blitz. Nun stehen wir mitten im Alptraum eines jeden Alpinisten. Inferno. In einem Trichter bei Gewitter ohne Ausweg. Eine Kommunikation mit dem Seilzweiten ist unmöglich. Der Lärm des Sturzbaches und des massiven Steinschlages sind unübertreffbar. Durchhalten, durchhalten. Ich selbst stehe mit dünner Windjacke in einem Wasserfall, Steine überrumpeln mich, könnten mich jederzeit treffen. Ich hoffe nur eins: Andi hat eine Nische erreicht und ist in Sicherheit. Zum Zeitpunkt kreisen meine Gedanken um das Schlimmste: Ich halte meinen Partner, der leblos über dem Abgrund am Seil hängt…

Im Inferno

Erneut ein Blitzeinschlag. Kurz durchfährt er mich, hebt mich leicht von der Wand, dann sofort der Donnerschlag. Wir stehen mitten im Gewitter. Es ist so grausam, man ist so hilflos dem Geschehen ausgesetzt. Durchhalten. Nach einer gefühlten halben Stunde legt sich der Sturzbach. Ich erkenne einen Helm, dann die Gestalt, die erschrocken zu mir heraufschaut. Er hat es geschafft. Wir können beide kaum sprechen, so geschockt und ausgekühlt sind wir. Wir müssen weiter. Eine nasse 15m-Verschneidung trennt uns noch von dem Band, welches wir schnellstens Erreichen müssen, bevor das Gewitter erneut über uns hereinbricht. Mit tauben Gliedern klettern wir bis zum Band. Das Gewitter hat sich verzogen. Wir hatten Glück. Meine Kiefermuskulatur ist immer noch verkrampft. Das Sprechen funktioniert nur ansatzweise. Meine Optik verzerrt sich eigenartig, sodass ich teilweise Doppelbilder sehe. Doch wir hatten unglaubliches Glück. Die Sonne scheint. Beinahe absurd ist die Situation. Gerade noch ums Überleben gekämpft stehen zwei Kletterer unterkühlt, klitschnass und gezeichnet vom Kampf mit Sonnenstrahlen im Gesicht. 

Im Inferno – Wir befinden uns zu diesem Zeitpunkt genau im Trichter oberhalb des Wasserfalls

Die Moral der Geschichte: Tourenplanung ohne Puffer ist ein gefährliches Spiel in den Bergen. In diesem Fall haben sich einige Kleinigkeiten zu einem großen Ganzen im Negativen für uns entwickelt, somit kam es zu dieser brenzligen Situation.

Zitat Andreas: „Die Gefahr war so unglaublich präsent. Wie eine gefährliche Reizüberflutung. Ich wusste nicht ob ich erschlagen werde, ersaufe oder vom Blitz getroffen werde“

Zitat Martin: „Alles andere ist egal. Man handelt intuitiv. Nur durchhalten zählt und hoffen das man überlebt.“

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